Mehr Show, weniger Tell! Diesen Rat haben sicher alle Autoren zu Anfang ihrer Schreibkarriere irgendwann einmal erhalten. Wir sollen als Autoren also nicht so viel berichten bzw. erklären, sondern mehr zeigen. Aber wie geht das eigentlich? Und woran erkennt man, wann man berichtet, statt zu zeigen?

Illustration einer Ratte von hinten
Ratten-Fakt

Als Haustiere gehaltene Ratten putzen gerne „ihre“ Menschen.

Ich mache heute aus gegebenem Anlass einmal eine kurze Unterbrechung in meiner Reihe zu den Erzählperspektiven. Denn ich erlebe immer wieder, dass Autoren es sich einfach machen wollen mit Sätzen wie:

  • Ihr war kalt.
  • Der Raum wirkte gemütlich.
  • Er schien nervös zu sein.
  • Piet bemerkte, dass er sein Portemonnaie verloren hatte.

„Was ist denn an diesen Sätzen verkehrt?“, fragen Sie sich jetzt vielleicht. Klar, das sind ganz normale, korrekt formulierte Sätze. Trotzdem sehe hier gleich mehrere Probleme.

Warum Sie Ihrem Text mit zu viel Tell schaden

Die vier Sätze sind alle Beispiele für Telling, also berichten. Sie zeigen uns nicht, was tatsächlich passiert, sondern fassen die Handlung zusammen. Das Problem dabei:

  1. Sie geben Ihren Lesern mit solchen Aussagen vor, was sie denken sollen und nehmen ihnen die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen. Sie fassen die tatsächliche Handlung stark zusammen, halten einen Vortrag. Sie interpretieren die Szene für die Leser und bevormunden sie damit.

  2. Lesen Sie die Sätze noch einmal. Entstehen in Ihrem Kopf klare Bilder dazu? Wohl eher nicht. Wie stellt man sich denn vor, dass jemand sein Portemonnaie verloren hat? Was macht denn den Raum gemütlich? Wie sieht jemand aus, dem kalt ist?
    Das große Problem hierbei ist: Wenn kein Bild entsteht, geht die Information häufig spurlos an Ihren Leserinnen vorbei. Sie bekommen sie vielleicht am Rande mit (wenn überhaupt), vergessen sie dann aber sofort wieder. Bilder hingegen prägen sich ein.

  3. War, wirkte, schien, bemerkte … das sind alles sehr passive Verben. Und Sie kennen sicher die Schreibregel, die besagt, dass man möglichst aktiv schreiben soll. Wenn etwas ist, dann passiert nichts. Sein ist statisch. Scheinen und wirken genauso. Und wer will schon einen Roman lesen, in dem nichts passiert?
    Wir wollen vollkommen eintauchen in ein Buch, die Welt um uns herum für eine Weile vergessen. Und das können wir am besten, indem wir die Handlung 1-zu-1 live miterleben (so wie im Fernsehen), anstatt aus zweiter Hand davon berichtet zu bekommen. Es muss also etwas passieren.

  4. Sie nehmen Ihren Protagonisten damit die Tiefe. Wenn Sie nur schreiben „Christoph und Anna waren wütend“, dann hat der Leser keine Idee davon, wie diese Wut sich bei Christoph und bei Anna ausdrückt. Reagieren die beiden gleich, wenn sie wütend sind? Oder frisst Christoph die Wut in sich hinein, während Anna anfängt, mit Tellern zu werfen? Dass die beiden wütend sind, sagt überhaupt nichts über ihren jeweiligen Charakter aus. Jeder ist einmal wütend. Aber wie macht sich die Wut bei genau Ihrem Protagonisten bemerkbar?

Lassen Sie den Leserinnen den Spielraum, für sich selbst zu entscheiden, was Ihre Protagonisten fühlen und empfinden. Wenn Anna den Teller an die Wand wirft, wird sich die Leserin sicher denken können, dass Anna wütend ist. Und sie wird viel tiefer in die Geschichte und das Leben Ihrer Protagonisten einsteigen. Denn das ist es doch, was wir als Leserinnen suchen: Wir möchten für eine kurze Zeit aus unserem eigenen stressigen Leben aussteigen und in eine andere Welt eintauchen. Und das können wir nicht, wenn uns jemand einen Vortrag hält. Das geht nur, wenn wir wirklich dabei sind. Wenn wir von Sekunde zu Sekunde miterleben, was in dieser anderen Welt geschieht.

Anmerkung: Bevor Sie jetzt nur noch alles zeigen wollen, sollte ich darauf hinweisen, dass es auch Situationen gibt, in denen das Tell nicht nur nützlich, sondern sogar unumgänglich ist. Mehr dazu in meinem nächsten Beitrag.

 

Woran erkenne ich Tell?

Die einfachste Methode, um zu erkennen, an welchen Stellen Sie einen Vortrag über das Geschehen halten, statt dem Leser zu zeigen, was passiert, ist sich zu fragen: Könnte man das mit einer Filmkamera einfangen? Würde die Kamera ein klares Bild zeigen, mit Gesichtsausdrücken, Geräuschen, Bewegungen der Blätter im Wind etc.? Oder wäre das Bild eher verschwommen?

Besser noch: Gäbe es eine Kamera, die auch Geruch, Geschmack und Gefühl erfassen könnte, würde sie auch diese klar wiedergeben?

Wenn sie diese Fragen mit Nein beantworten müssen, dann haben Sie vermutlich berichtet, statt zu zeigen. Natürlich können Sie nicht in jeder Szene alles ganz genau zeigen, aber mehr als ein verschwommenes Bild sollte sich schon ergeben. (Passen Sie dabei jedoch auf, dass Sie nicht in einen Infodump verfallen!)

Es gibt aber auch ein paar Warnsignale, die Sie darauf hinweisen können, dass Sie nicht zeigen, sondern berichten:

 

  • Passive Verben oder Verben der Wahrnehmung
    Bei Verben wie sein, haben, fühlen, bemerken, scheinen, aussehen etc. sollten Ihre Alarmglocken läuten. Denn meistens zeigen sie an, dass die Autorin eine Reihe von Handlungen, Vorkommnissen und Emotionen zusammengefasst hat.

  • Adverbien
    Wenn Sie viele Adverbien verwenden, kann das ein Zeichen für Telling sein. Zum Beispiel: „Er sah sie wütend an.“ Wie sieht er denn aus, wenn er wütend ist?

  • Emotionen benennen
    „Sie war peinlich berührt“ ist Tell. Wie macht sich das bei ihr bemerkbar?

  • Zusammenfassungen
    Natürlich ist es manchmal nötig, Ereignisse, die für den Plot nicht von unmittelbarer Bedeutung sind, zusammenzufassen. Ihr Manuskript würde sonst die 1000 Seiten locker sprengen. Aber sein sie sich bewusst, dass eine Zusammenfassung immer ein Tell ist.

Wie mache ich es besser?

Wie zeigen Sie nun also, statt nur zu berichten? Wie machen Sie Ihre Geschichte direkter, aktiver, erlebbarer? Es gibt eine einfache Frage, die Sie sich beim Schreiben (oder spätestens beim Überarbeiten) stellen können, und zwar: Woran erkennt man, dass das stimmt?

Schauen wir uns die Sätze vom Anfang noch einmal an. Wie können wir zeigen, dass es wirklich so ist, wie diese Sätze behaupten? Woran könnte man das erkennen? Ich habe jeden der Tell-Sätze (in Rot) in eine Show-Variante (in Türkis) umgewandelt, die einen Beleg für die Behauptung liefert.

Ihr war kalt.
Sie zog sich die Jacke enger um den Körper.

Der Raum wirkte gemütlich.
Er setzte sich auf eines der vielen Sofas und betrachtete die Gemälde an den Wänden. Sie zeigten verschneite, hügelige Landschaften, die zu dem Feuer passten, das in der Ecke knisterte.

Er schien nervös zu sein.
Er kaute an seinen Fingernägeln und schaute sich immer wieder um.

Piet bemerkte, dass er sein Portemonnaie verloren hatte.
Piet griff in die Manteltasche. Nichts. Er ging zurück ins Schlafzimmer und durchsuchte die Hose, die er gestern getragen hatte. Auch nichts. Verdammt. Wo war bloß dieses verflixte Portemonnaie?

 

Wir sehen in der Show-Version Bilder vor unserem inneren Auge. Wir brauchen nicht gesagt zu bekommen, dass sie friert, er nervös ist oder der Raum gemütlich war, denn wir erkennen es an der Handlung der Menschen oder an der Beschreibung des Raumes.

Aber natürlich habe ich noch ein paar weitere Tipps für Sie.

  • Sprechen Sie alle fünf Sinne an.
    Ihre Leser sollen das Geschehen direkt erleben. Wir nehmen aber unsere Umwelt nicht nur durch Sehen oder Hören wahr. Wenn Sie also zeigen, was zu riechen, zu schmecken oder zu fühlen ist, kann sich die Leserin ein besseres Bild machen.

  • Verwenden Sie aktive Verben, zeigen Sie Aktionen.
    Weniger sein, spüren, haben, wollen, mehr schäumen, humpeln, stampfen, hereinstürmen.
     
  • Verwenden Sie präzise Nomen bzw. klare Bilder.
    „Der Mann steig in seinen BMW“, statt „Der Mann stieg in sein Auto“.
    „Sie aß ihr Birchermüsli“, statt „Sie aß ihr Frühstück“.
    Geben Sie’s zu: Das Bild in Ihrem Kopf wird dadurch sofort deutlicher.

  • Zeigen Sie mithilfe von Dialogen.
    Egal ob Sie klar machen wollen, wie sich Ihr Protagonist fühlt, was für einen Charakter er hat oder wie er aussieht: Meist können Sie diese Information wunderbar in einem Dialog zeigen.

  • Verpacken Sie Beschreibungen in Handlung.
    Damit Sie beim Beschreiben nicht in einen Infodump verfallen, hilft es, Informationen in Handlung einzubetten. Haben Sie es gemerkt? Oben bei dem gemütlichen Zimmer mit den Sofas und dem Feuer habe ich genau das gemacht.

Hier noch ein paar weitere Beispiele. Bei allen können Sie sich fragen: Woran erkennt man, dass das stimmt?
Welche der obigen Tipps ich außerdem angewendet habe, schreibe ich Ihnen unter das jeweilige Beispiel.

Die Insel war nur spärlich besiedelt, aber die Menschen waren glücklich und der König war allseits beliebt.
An stürmischen Tagen pfiff der Wind zwischen den beiden Bergen der Insel hindurch und bog die Bäume fast bis zum Boden. Aber wenn die Sonne schien, pfiff die Verkäuferin ein Lied, während der Fotograf beim Entwickeln seiner neusten Bilder einen kleinen Tanz vollführte. Und wenn der König zu einem Spaziergang auszog, um sich zu vergewissern, dass es seinen vier Untertanen gut ging, winkten sie ihm mit einem Lächeln zu oder luden ihn zu einem Tee oder einer Eisenbahnfahrt um die Insel ein.

Hier: Hörsinn, klare Bilder, aktive Verben, Handlung.

In der Nacht hatte es gefroren.
Das Gras knirschte unter meinen Füßen und die Sonne spiegelte sich auf den Eiskristallen, die an den Spinnenweben hingen.

Hier: Hör- und Tastsinn, aktive Verben.

Sie stellten fest, dass Sie keinen Kaffee mehr hatten, und Suse ärgerte sich, weil sie jetzt noch einmal zum Supermarkt würde fahren müssen.
“Schatz, holst du mir eine neue Packung Kaffee aus dem Schrank?“, fragte Holger über seine Schulter.
Suse öffnete die Schranktür. „Da ist kein Kaffee mehr. Du wolltest doch gestern welchen kaufen.“
„Wieso ich? Du hast gesagt, du holst Kaffee.“
„Von wegen! Das war dein Job.“
Holger seufzte. „Egal. Fakt ist, ohne Kaffee kommen wir morgen früh nicht aus dem Bett. Und ich habe in 10 Minuten Tennistraining. Also wirst du wohl oder übel nochmal losfahren müssen.“
„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“ Sie funkelte ihn an.

Hier: Dialog, aktive Verben.

Sie war die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte.
Er stand mit offenem Mund da und sah die Frau an.
„Alex? Hallo? Hörst du mich?“, fragte ich.
Aber Alex starrte die Frau immer noch an und ich konnte förmlich die Herzen in seinen Augen sehen.

Hier: Dialog, Handlung.

Wie Sie hoffentlich gesehen haben, ist Show, don’t tell kein Hexenwerk. Vor allem die Frage „Woran erkennt man, dass das stimmt?“ kann Sie einen großen Schritt weiterbringen.

Beim nächsten Mal werden wir uns der Frage widmen, ob es auch Situation gibt, in denen Tell besser ist als Show.

Kategorien: Kreatives Schreiben

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