Autor: Marina Lewycka
Title: We Are All Made of Glue
Publisher: Fig Tree, 2009
Sample translation by Anya Lothrop

Original Translation
Adhesives in the Modern World
Klebstoff in der modernen Welt
The gluey smell Der klebrige Geruch
The first time I met Wonder Boy, he pissed on me. I suppose he was trying to warn me off, which was quite prescient when you consider how things turned out.
Als ich Wonder Boy das erste Mal begegnet bin, hat er mir ans Bein gepinkelt. Vermutlich wollte er mich abschrecken, was ziemlich vorausschauend von ihm war, wenn man bedenkt, wie die ganze Geschichte ausgegangen ist.
One afternoon in late October, somewhere between Stoke Newington and Highbury, I’d ventured into an unfamiliar street, and come upon the entrance of a cobbled lane that led in between two high garden walls. After about fifty metres the lane opened out into a grassy circle and I found myself standing in front of a big double-fronted house, half derelict and smothered in ivy, so completely tucked away behind the gardens of the neighbouring houses that you'd never have guessed it was there, crouched behind a straggly privet hedge and a thicket of self-seeded ash and maple saplings. I assumed it was uninhabited – who could live in a place like this? Something was carved on the gatepost. I pulled the ivy aside and read: Canaan House. Canaan – even the name exuded a musty whiff of holiness.
An einem Nachmittag Ende Oktober hatte ich mich irgendwo zwischen den Londoner Stadtteilen Stoke Newington und Highbury in eine mir unbekannte Straße verirrt und den Eingang zu einer kopfsteingepflasterten Gasse entdeckt, die zwischen zwei hohen Gartenmauern hindurchführte. Nach etwa fünfzig Metern mündete die Gasse in ein grasbedecktes Rondell, und ich stand vor einem imposanten, symmetrisch geschnittenen Haus, das stark heruntergekommen und völlig von Efeu überwuchert war. Es war so vollkommen hinter den Gärten der benachbarten Häuser verborgen, dass man es dort nie vermutet hätte, zusammengekauert hinter einer wuchernden Ligusterhecke und einem Dickicht aus Eschen- und Ahornsämlingen. Vermutlich war es unbewohnt – wer könnte schon an einem solchen Ort wohnen? Jemand hatte etwas in den Torpfosten geritzt. Ich zog das Efeu zur Seite und las: Canaan House. Canaan – selbst der Name verbreitete einen muffigen Hauch von Heiligkeit.
A cloud shifted and a low shaft of sunshine made the windows light up momentarily like a magic show. Then the sun slipped away and the flat dusky light exposed the crumbling stucco, the bare wood where the paint had peeled away, rag-patched windows, sagging gutters, and a spiny monkey puzzle tree that had been planted far too close to the house. Behind me, the gate closed with a clack.
Zwischen den Wolken schob sich ein Sonnenstrahl hindurch, der die Fenster für einen Moment wie bei einer Bühnenshow erstrahlen ließ. Dann verschwand die Sonne wieder und das fahle Licht enthüllte bröckelnden Putz, Holz, von dem die Farbe abgeplatzt war, notdürftig geflickte Fenster, durchhängende Regenrinnen und eine stachelige Araukarie, die jemand viel zu nah ans Haus gepflanzt hatte. Hinter mir fiel mit einem Klacken das Tor zu.
Suddenly a long wailing sob, like the sound of a child crying, uncoiled in the silence. It seemed to be coming from the thicket. I shivered and drew back towards the gate, half expecting Christopher Lee to appear with blood on his fangs. But it was only a cat, a great white bruiser of a tomcat, with three black socks and an ugly face, who emerged from the bushes, tail held high, and came towards me with a purposeful glint in his eye.
Plötzlich durchbrach ein langes, heulendes Klagen, wie von einem weinenden Kind, die Stille. Es schien aus dem Dickicht zu kommen. Schaudernd wich ich zurück in Richtung des Tors. Es hätte mich nicht gewundert, wenn Christopher Lee mit blutigen Fangzähnen vor mir aufgetaucht wäre. Aber es war nur ein Kater, ein gewaltiger, weißer Rabauke mit drei schwarzen Socken und einem hässlichen Gesicht, der erhobenen Schwanzes aus den Büschen auftauchte und mit einem entschlossenen Glitzern im Auge auf mich zukam.
"Hello, cat. Do you live here?”
„Hallo, Kater. Wohnst du hier?“
He sidled up, as though to rub himself against my legs, but just as I reached down to stroke him, his tail went up, his whole body quivered, and a strong squirt of eau-de-tomcat suffused the air. I aimed a kick, but he'd already melted into the shadows. As I picked my way back through the brambles I could smell it on my jeans – it had a pungent, faintly gluey smell.
Er kam scheinheilig näher, als wollte er sich an meinem Bein reiben, aber als ich mich hinunterbeugte, um ihn zu streicheln, hob er den Schwanz, ließ seinen ganzen Körper erzittern und tränkte die Luft mit einem ordentlichen Strahl Kölnischkater. Ich trat nach ihm, aber er war schon wieder im schattigen Dickicht verschwunden. Auf dem Weg zurück durch die Brombeersträucher konnte ich es an meinen Jeans riechen – ein beißender Geruch, der vage an Klebstoff erinnerte.
Our second encounter was about a week later, and this time I met his owner, too. One evening at about eleven o'clock, I heard a noise in the street, a scraping and scuffling followed by a smash of glass. I looked out of the window. Someone was pulling stuff out of the skip in front of my house.
Unsere zweite Begegnung fand ungefähr eine Woche später statt, und dieses Mal lernte ich auch seine Besitzerin kennen. Eines Abends hörte ich gegen elf Uhr ein Geräusch auf der Straße, ein Scharren und Wühlen, gefolgt vom Klirren zerbrechenden Glases. Ich sah aus dem Fenster. Jemand war gerade dabei, Gegenstände aus dem Müllcontainer vor unserem Haus zu kramen.
At first I thought it was just a boy, a slight sparrowy figure wearing a cap pulled down low over his face; then he moved into the light and I saw it was an old woman, scrawny as an alley cat, tugging at some burgundy velour curtains to get at the box of my husband's old vinyls half buried under the other junk. I waved from the window. She waved back gaily and carried on tugging. Suddenly the box came free and she fell backwards on to the ground, scattering the records all over the road, smashing a few of them. I opened the door and rushed out to help her.
Zuerst dachte ich, es sei nur ein Junge, ein schmächtiger kleiner Spatz, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Doch dann trat die Gestalt ins Licht und ich sah, dass es eine alte Frau war, dürr wie eine streunende Katze, die mit Mühe einen weinroten Samtvorhang zur Seite zog, um an die Kiste mit alten Schallplatten meines Mannes heranzukommen, die unter dem ganzen Plunder halb vergrabenen war. Ich winkte ihr vom Fenster aus zu. Sie winkte fröhlich zurück und zerrte weiter. Plötzlich löste sich die Kiste, die Frau fiel rücklinks zu Boden und die Platten verteilten sich auf der Straße, wobei einige zu Bruch gingen. Ich eilte nach draußen, um ihr zu helfen.
“Are you okay?”
„Alles in Ordnung?“
Scrambling to her feet, she shook herself like a cat. Her face was half hidden under the peak of the cap – it was one of those big jaunty baker boy caps that Twiggy used to wear, with a diamanté brooch pinned on one side.
Sie rappelte sich wieder auf und schüttelte sich wie eine Katze. Ihr Gesicht war halb vom Schirm ihrer Mütze verdeckt – eine von diesen großen, kecken Ballonmützen, wie Twiggy sie früher getragen hat, mit einer Strassbrosche an der Seite.
"I don't know what type of persons is throwing away such music, Great Russian composers.” A rich brown voice, crumbly like fruitcake. I couldn't place the accent. “Must be some barbarian types living around here, isn't it?”
„Ich verstehe nicht welche Menschen werfen solche Musik weg. Große russische Komponisten.” Eine satte, dunkle Stimme, bröckelig wie Streuselkuchen. Ich konnte den Akzent nicht zuordnen. „Müssen wirklich Barbaren sein, was hier leben!“
She stood chin out, feet apart, as if sizing me up for a fight. “Look! Tchaikovsky. Shostakovich. Prokofiev. And they throw all in a bin!”
Sie stand breitbeinig und mit vorgestrecktem Kinn da, als wollte sie mich zum Kampf herausfordern. „Guck! Tschaikowsky. Schostakowitsch. Prokofjew. Sie werfen alles in Mülleimer!“
"Please take the records,” I said apologetically. “I don't have a record player.”
„Bitte, nehmen Sie die Platten”, sagte ich entschuldigend. „Ich habe keinen Plattenspieler.“
I didn't want her to think I was a barbarian type.
Ich wollte nicht, dass sie mich für eine Barbarin hielt.
“Thenk you. I adore especially the Prokofiev piano sonatas.”
„Dankeschen. Besonders ich mag die Klaviersonaten von Prokofjew.“
Now I saw that behind the skip was an old-fashioned pram with big curly springs into which she'd already loaded some of my husband's books.
Erst jetzt erblickte ich hinter dem Müllcontainer einen altmodischen Kinderwagen mit großen Spiralfedern, den sie schon mit mehreren Büchern meines Mannes beladen hatte.
"You can have the books, too.”
„Die Bücher können Sie auch mitnehmen.“
“You heff read them all?” she asked, as though quizzing me for barbarian tendencies.
„Sie haben alle gelesen?”, fragte sie, als versuchte sie den Grad meines Barbarentums einzuschätzen.
“All of them.”
„Alle.“
“Good. Thenk you.”
„Gut. Dankeschen.“
“My name's Georgie. Georgie Sinclair.”
„Ich heiße Georgie. Georgie Sinclair.“
She tipped her head in a stiff nod but said nothing.
Sie nickte steif, sagte aber nichts.
“I've not lived here long. We moved down from Leeds a year ago.”
„Ich wohne noch nicht lange hier. Wir sind letztes Jahr aus Leeds hergezogen.“
She extended a gloved hand – the gloves were splitting apart on the thumbs – like a slightly dotty monarch acknowledging a subject.
Sie reichte mir die Hand – ihr Handschuh hatte am Daumen ein Loch – wie eine verschrobene Monarchin, die sich zur Begrüßung eines Untertanen herablässt.
"Mrs Naomi Shapiro.”
„Mrs. Naomi Shapiro.“
I helped her gather the scattered records and stow them on top of the books. Poor old thing, I was thinking, one of life's casualties, carting her worldly possessions around in a pram. She pushed it off down the road, swaying a little on her high heels as she went. Even in the cold outside air I could smell her, pungent and tangy like ripe cheese. After she'd gone a few yards I spotted the white tomcat, the same shaggy bruiser with three black socks, leeching out of the undergrowth of next door's garden and trailing her down the pavement, ducking for cover from time to time. Then I saw there was a whole cohort of shadowy cats slipping off walls and out of bushes, slinking along behind her. I stood and watched her go until she turned a corner and disappeared from sight, the Queen of the Cats. And I forgot about her instantly. I had other things to worry about.
Ich half ihr, die Schallplatten wieder einzusammeln und auf den Büchern zu verstauen. Die Ärmste, dachte ich, das Leben hat ihr wohl übel mitgespielt, und nun fährt sie ihr ganzes Hab und Gut in einem Kinderwagen herum. Leicht auf ihren hohen Absätzen schwankend schob sie den Wagen die Straße hinunter. Trotz der kalten Abendluft konnte ich ihren Körpergeruch wahrnehmen, beißend und scharf wie reifer Käse. Nachdem sie sich ein paar Meter entfernt hatte, sah ich, wie der weiße Kater, derselbe verwahrloste Rabauke mit den drei schwarzen Socken, aus dem Gebüsch des benachbarten Gartens schlüpfte und ihr den Gehweg entlang folgte, wobei er dann und wann in Deckung ging. Dann erspähte ich eine ganze Schar schattenhafter Katzen, die von Mauern sprangen und aus Büschen hervorkamen, um hinter ihr herzuschleichen. Ich stand da und sah ihr nach, bis sie hinter einer Ecke verschwunden war, die Königin der Katzen. Und dann vergaß ich sie sofort. Ich hatte genug eigene Sorgen.